In dem Sachbuch „Niemals alt“ geht es darum, dass und wie sich mithilfe von Verjüngungsforschung das Altern bald umkehren lässt und warum das wünschenswert ist. Aubrey de Grey definiert Altern dabei als eine Anhäufung von Schäden über Zeit. Diese Schäden teilt er in sieben Schadenskategorien ein. De Grey stellt die These auf, dass es nur diese Schadenskategorien gibt. Dass das Altern rückgängig gemacht werden kann, wenn Therapien für jede Schadenskategorie entwickelt werden. Dieser sogenannte Reparaturansatz (auch Ingenieursansatz oder SENS-Ansatz genannt) hebt sich von den klassischen Ansätzen der Biogerontologie, also der Alternsforschung ab.
Die klassische Biogerontologie versucht, die komplexen Stoffwechselprozesse des Alterungsprozesses zu verstehen und in sie einzugreifen. Oder Forschende untersuchen eine bestimmte Alternskrankheit, wie beispielsweise Alzheimer. Dadurch altert der Mensch im besten Fall als Folge langsamer.
Wenn man den Körper jedoch altern lässt und dafür regelmäßig die angesammelten Alterungsschäden behebt (Reparaturansatz), altert man nicht nur langsamer. Man kann das Altern sogar rückgängig machen (und damit auch Alterskrankheiten heilen). Des Weiteren müssen die komplexen Stoffwechselprozesse nicht verstanden werden, sondern nur die Schadenskategorien und die Schäden innerhalb dieser. Mit diesem Ansatz, so de Grey, sei es wesentlich einfacher, Therapien zu entwickeln. Dadurch seien sie auch in viel näherer Reichweite.
Erster Teil: Ist es wünschenswert, das Altern umzukehren?
De Grey merkt am Anfang des Buches an, man würde meinen, dass sich Diskussionen bezüglich Verjüngungsforschung meist um fachliche Inhalte drehen. Stattdessen gehe es viel häufiger darum, ob Verjüngung überhaupt wünschenswert ist, anstatt um die Machbarkeit des Zieles. Deswegen widmet de Grey den ersten Teil seines Buches der Frage, warum es wünschenswert ist, das Altern umzukehren. Er prägt den Begriff der Pro-Aging-Trance, indem er darauf eingeht, warum dennoch so viele Menschen vehement und irrational argumentieren, dass Altern nicht umgekehrt werden sollte oder gar etwas Wichtiges, Tolles sei.
Zweiter Teil: Der Reparaturansatz und die Schadenskategorien
Im zweiten Teil geht de Grey in jedem Kapitel auf eine der sieben Schadenskategorien ein und erläutert diese. Dann erklärt er, welche Ansätze es bereits zur Entwicklung von Therapien für die jeweilige Schadensart gibt. Das Wichtigste ist jedoch, dass er aus der Schadensart und den bisherigen Forschungsprojekten Schlüsse zieht, welchen Forschungsansatz er für sinnvoll hält, um den jeweiligen Schaden zu beheben und den Menschen somit zu verjüngen.
Dadurch hat der Leser am Ende umfassend Wissen zur Verjüngungsforschung und dem Umgang damit erhalten. Der Leser weiß dann, welche irrationalen Argumente oft hervorgebracht werden, wenn es um die Frage geht, ob Altern umgekehrt werden sollte und warum Menschen das Altern oft verherrlichen.
Des Weiteren kennt und versteht der Leser die Schadenskategorien der Schäden, die beim Altern entstehen. Zu diesen gehören beispielsweise intrazelluläre sowie extrazelluläre Schäden, Zellverlust, Mutationen in den Mitochondrien sowie Quervernetzungen. Außerdem weiß der Leser nun, welche Forschungsansätze beziehungsweise Therapien Aubrey de Grey pro Schadenskategorie für sinnvoll hält, wie diese funktionieren könnten und mit welchen Schwierigkeiten sie einhergehen könnten.
Zu viele wissenschaftliche Details über Verjüngungsforschung für ein breites Publikum
Soweit hört sich das alles gut und informativ an. Nun gibt es für mich jedoch einige Punkte, die an diesem Buch nicht so positiv ausfielen.
Aubrey de Grey entschuldigt sich am Anfang des Buches, dass es ihm nicht möglich sei, auf jedes wissenschaftliche Detail einzugehen, da das Buch einem breiten Publikum gewidmet sei (S.8). Wenn man sich jedoch durch das Buch gekämpft hat, wirkt diese Entschuldigung geradezu ironisch. Eine Warnung vor wissenschaftlicher Tiefe wäre eher angebracht gewesen.
Meiner Meinung nach geht das Buch sehr in die Tiefe. Selbst für mich war vieles nicht gerade einfach nachzuvollziehen oder ging zu sehr ins Detail, obwohl ich eine biologische Grundlage mit mir bringe, da ich im Abitur meinen Schwerpunkt auf Biologie gelegt habe. Das Buch ist so schwierig zu lesen, dass ich empfehlen würde, es sich mit einem Tee und eingekuschelt in eine Decke gemütlich zu machen.
Ich kann jedoch verstehen, dass Aubrey diese Entschuldigung geäußert hat. Er sieht sich viel Kritik von ForscherInnen gegenüber. Diese werfen ihm vor, er würde biologische Zusammenhänge zu sehr zu vereinfachen. Wenn man das im Hinterkopf behält, kann man folgern, dass de Grey es sich vermutlich nicht leisten konnte, weniger detailliert wissenschaftlich vorzugehen.
Dennoch habe ich den Eindruck, dass Aubrey hier einen Spagat versucht hat, der ihm nicht zufriedenstellend gelungen ist. Besser wäre es meines Erachtens gewesen, ein Werk in verschiedenen Versionen, also Schwierigkeitsgraden, zu schreiben. Nur so kann ein wissenschaftliches und so kontroverses Thema der breiten Masse zugänglich gemacht werden. Ohne dass man wegen ungenügender wissenschaftlicher Tiefe allzu sehr angefeindet wird. Und ohne dass man Leser verjagt, die nicht die Kraft oder Zeit haben, sich durchzukämpfen, sondern eine entspannendere Lektüre über die Verjüngungsforschung wünschen.
Was andere Rezensenten zu „Niemals alt“ sagen
„Das Buch gibt keine Tips für eine lebensverlängernde Lebensweise. Ist einfach kompliziert und langweilig zu lesen. Für Wissenschaftler vielleicht interessant aber für „normale Menschen“ völlig ungeeignet.“
Dieser Kommentar ist eine Rezension, die ich gefunden habe. Sie fasst meinen Eindruck noch einmal ziemlich gut zusammen und zeigt auch auf, dass LeserInnen dieses Buch missverstehen. Es gibt nämlich Gründe, warum de Grey keine Tipps für lebensverlängernde Lebensweisen gibt, ja eher sogar davon abrät. Denn, wie ein anderer Rezensent auf Amazon treffend sagt: „Selbst mit dem gesündesten Lebensstil häufen sich Müll und Fehler im Körper (Zellen) an. (…) Hier wird das Altern an der Wurzel angepackt.“
Man kann noch so gesund leben, der Effekt ist laut de Grey vergleichsweise gering. Wirklich länger gesund leben werden Menschen nur in absehbarer Zeit, wenn Forscher für die von Aubrey beschriebenen Schadenskategorien Therapien entwickeln – und wenn diese Therapien in Anspruch genommen werden.
„Niemals alt“ – ein wichtiges Werk der Verjüngungsforschung
Alles in allem zählt „Niemals alt“ von Aubrey de Grey meiner Meinung nach also trotz dem, dass es schwierig zu verstehen ist und man sich durch das Buch stellenweise quälen muss, zu einem der wichtigsten Werke im Bereich der Langlebigkeitsforschung. Das auch noch nach über 10 Jahren, seitdem de Grey es geschrieben hat! Aubrey war der erste, der die Herangehensweise der bisherigen Alternsforschung kritisch beäugt hat. Er hat einen neuen Ansatz – den Reparaturansatz mit den Schadenskategorien – geschaffen. Des Weiteren hat er den Begriff der Verjüngungsforschung geprägt. Jetzt braucht es nur noch Menschen, die die Konzepte leichter verständlich zugänglich machen und natürlich ForscherInnen, die an entsprechenden Therapien arbeiten.
Aubrey fragt am Anfang des Buches: „Wie viele gesunde, jugendliche Jahre glauben Sie während Ihres Lebens insgesamt anderen Menschen schenken zu können?“ Mich hat diese Frage sehr berührt. Sie zeigt, dass die Bekämpfung des Alterns nicht zwingend eine egoistische Frage, sondern vor allem auch eine humanitäre Frage ist. Und ich bin überzeugt, dass Aubrey allein mit diesem Buch vielen Menschen viele gesunde Jahre geschenkt hat.
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